Freitag, 12. Mai 2006

Mal sehen, ob es diesmal klappt.

Die Wirtschaft und ihre liebe Mühe mit der Komplexität
Also, laut diverser Arbeitsmarkt- und Absolventenanalysen sollen ja Geistes- und Soziawissenschaftler hervorragend mit Komplexität umgehen können. Das trifft sich gut: In der Unternehmenswelt gibt es davon reichlich. Mitarbeiter, die Komplexität auch managen können, gibt es dafür erstaunlich wenige - so jedenfalls der Tenor von Dietrich Dörner, Professor für Theoretische Psychologie, in einem brand-eins-Interview. Ganz nebenbei ist der Artikel eine wunderbares Plädoyer für differenziertes Denken und gegen Patentrezepte und Managementmoden in der Wirtschaft!


Einfach mehr durchwursteln

Wenn es der Führungskraft zu komplex wird, rettet sie sich mit einer Management-Methode. Leider, sagt der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner. Er findet: Wer führen will, muss improvisieren können – und das Chaos für andere ordnen.


Text: Interview: Wolf Lotter

brand eins: Herr Dörner, würden Sie folgender Aussage zustimmen: Die meisten Leute leiden heute unter Orientierungsverlust. Es ist alles viel zu kompliziert. Sie wollen eine übersichtlichere Welt.

Dörner: Ja, mit einer Einschränkung: Wenn Sie das „heute“ weglassen. Das war nie wirklich anders. Menschen suchen nach Vereinfachungen, so sind wir angelegt. Wir wollen schnelle Wechsel und Veränderungen nicht mitmachen. Das hat allerdings den Nachteil, dass reduzierende Ideologien entstehen, die die Welt von einem Standpunkt aus erklären – ganz egal, wo Sie hinsehen: in der Politik, in Unternehmen oder sonst wo.

Seit Jahren fordern Experten, dass sich Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren sollen, also die Varianten zu reduzieren. Was ist daran schlecht?

Dass es eben nicht richtig ist, nur das eine oder das andere zu tun. Diese Antwort ist unbefriedigend für die meisten, aber sie entspricht der Realität. Die Gefahr, dass man sich verzettelt oder allzu sehr auf eine Sache konzentriert, ist überall gegeben. Es kann oftmals sehr klug sein, dass man sich ein halbes Jahr nur mit der Lösung einer einzigen Frage beschäftigt. Auch das gehört zum Umgang mit Komplexität. Aber es kann auch klug sein, zu springen.

Es gibt eben bei komplexen Systemen keine festen Maximen. So banal ist es: Manchmal geht man seinen Weg konsequent gerade, und es ist vernünftig, nicht nach links und rechts zu gucken. Und dann wieder geht man spazieren, in aller Ruhe, widmet sich diesem und jenem und sieht natürlich viel mehr Neues.

Da stellt sich die Frage: Wann ist es richtig, was zu tun?

Das ist die zentrale Frage. Und daran scheitern die meisten. Deshalb gibt es etwa in der Wirtschaft die berühmten Patentrezepte. Gelegentlich gehe ich in meiner Buchhandlung in die Management-Literaturecke: Das ist weit unterhaltsamer als das Regal mit den Witzbüchern. Ich kann mich köstlich über die halbjährlich wechselnden Moden amüsieren: Mal ist es die fraktale Fabrik, was bedeutet, dass alles irgendwie fraktal sein muss. Dann ist es das Chaos, was natürlich bedeutet, dass man auch chaotisch managen muss. Dann kommt immer wieder mal die Gruppendynamik und der nicht autoritäre Führungsstil oder das partizipative Lernen und die Organisation von Wissensvermittlungssystemen – kurz und gut: Es ist herrlich!

Überall gibt es Rezeptchen, die als isolierte, allein selig machende Lösungen dargestellt werden. Und alle diese Dinge, das ist der Witz, sind nicht falsch, sie haben ihren Punkt – aber sie sind eben nicht der Punkt an sich. Sie sind nur für eine bestimmte Gelegenheit richtig.

Das klingt jetzt fast so, als ob Sie sich über die armen Menschen, die Orientierung suchen, lustig machen.

Was soll man denn sonst tun? Sehen Sie: Der wirklich gute Manager von Komplexität weiß natürlich, dass jede Maxime stimmt, dass aber auch die Gegenmaxime wert ist, betrachtet zu werden. Man muss eben immer genau hingucken, was man gerade macht.

Manchmal, das wissen gute Komplexitätsmanager auch, ist es vernünftig, gar nichts zu tun. Und dann wieder alle Kraft in eine Sache zu stecken. Es ist in bestimmten Situationen sogar richtig, autoritär zu führen, wirklich diktatorisch. In einer anderen Situation wiederum ist das völlig verrückt. Das ist nun mal die Aufgabe des Managers: die jeweils zur richtigen Zeit richtigen Analysen und Handlungen durchzuführen und Entscheidungen zu treffen und es auch manchmal zu lassen. Was übrigens sehr anstrengend ist, denn auch darüber müssen Sie nachdenken.

Die einzige Regel ist, dass es keine Regel gibt? Das ist nun wirklich äußerst kompliziert.

Wenn man so will, handelt es sich dabei um bedingte Gesetze, nicht um unbedingte, also stets gültige Gesetze. Erst wägen, dann wagen – so macht es meistens Sinn. Andererseits verdankte der Feldherr Napoleon seine Siege dem Motto: „Man fängt mal an, und dann sieht man schon, wie es wird.“ Das ist dann vernünftig, wenn wir wenig Zeit haben, es keine oder nur sehr vage Informationen über eine Situation gibt, wenn also Handlungsbedarf besteht, ohne dass man genügend Informationen hat. Durch dieses Losgehen lernt man und verschafft sich auch Zeit.

Das heißt aber, man muss ein Ziel haben, wissen, was man letztlich will. Zum Beispiel: den Feind schlagen?

Ja und nein – ein festes Ziel kann auch behindern. Wenn Sie in eine Schlacht ziehen wollen, statt sie, was klüger sein könnte, zu vermeiden, können Sie natürlich den Krieg verlieren. Stellen Sie sich vor, Sie spielen Schach und haben dabei folgendes Ziel: Sie streben an, dass der feindliche König in der linken oberen Ecke steht und Sie mit der Dame hier stehen, mit dem Turm da und mit dem Springer dort. Nur leider spielt der Gegner auch mit. Es gibt Milliarden von möglichen Konstellationen. Viel vernünftiger als so ein starres Szenario ist es natürlich, sich dem Spielverlauf des Gegners anzupassen, also das jeweils Richtige zu tun, Zug um Zug. Das ist Anpassung, Adaption. Umgangssprachlich kann man sagen: Mit Durchwursteln kommt man weiter.

Improvisation ist also das Mittel der Wahl, wenn es komplex wird?

So ist es. Improvisiertes Handeln – aus der Situation heraus – ist jeder Vorlage meist bei weitem überlegen. Dabei muss man die Nebenwirkungen im Auge haben, aber die werden klarer, wenn man situationsbezogen handelt, übersichtlicher, wenn Sie so wollen. Sie sind nicht mehr so abstrakt, so schemenhaft. Die Maxime dazu nennt man: Nutze die Gelegenheit. Sei opportunistisch.

Ein guter Manager, ein guter Unternehmer ist ein guter Durchwurstler, der sich an die Situation anpasst?

Ja!

Sind das die Bedingungen, unter denen eine neue Gesellschaft funktioniert?

Da müssen wir erst klären: Wen meinen Sie mit Gesellschaft? Reden wir lieber über Menschen, über den Einzelnen. Man kann nicht jedem zumuten, ständig nach der Maxime „Lass dir immer das Richtige einfallen!“ zu leben, das ist einer der Irrtümer, die wir heute begehen. Es gibt Menschen, die brauchen Richtlinien für ihre Arbeit, die wollen ein geordnetes System vorfinden, und ich finde, darauf haben sie sogar ein gewisses Recht. Wir dürfen nicht alle zu Komplexitätsmanagern erklären, wir können nicht von allen das Gleiche verlangen. Heute dieses, morgen jenes, übermorgen wieder ganz anders – das ist nicht allen zuzumuten. Es bringt unnötige Unruhe in den Betrieb. Ich habe den Eindruck, dass viele Manager ihre Mitarbeiter auf der Suche nach der Lösung von Komplexität vorschicken, und zwar ins Chaos. Was da heute oft praktiziert wird, hat mit Komplexitätsarbeit nichts zu tun. Das ist einfach Sprunghaftigkeit, und viele Führungskräfte sind so.

Woran lässt sich das festmachen?

Sehr oft an Begriffen, die eigentlich nichts bedeuten, aber einen guten Klang haben. Da gibt es diesen – generalisiert – unglaublich dummen Spruch vom lebenslangen Lernen. Was heißt das eigentlich? Ein 50-Jähriger hat nicht mehr das Tempo eines 20-Jährigen, er lernt viel, viel langsamer. Das ist schlicht ein Naturgesetz. Die Fähigkeit, zu lernen und schnell nachzudenken, nimmt mit dem Alter ab. Ältere Menschen sind mehr auf feste Strukturen angewiesen als jüngere. Da kann man keine ständigen Innovationen fordern, im Gegenteil: Hier braucht man einen klaren Rahmen.

Verstehe ich das richtig? Alte sind nicht mehr komplexitätstauglich? Die Menschen in unserem Land werden aber immer älter. Das heißt: Die Verwirrung steigt noch?

Das hängt von uns ab. Wir fordern heute unabhängig von Alter und Fähigkeiten allen das Gleiche ab. Das ist falsch. Ältere Menschen sind nicht einfach Junge, die ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben. Sie können sich Neues nicht so schnell aneignen. Andererseits, das wissen wir auch, nützt einem 20-Jährigen die Fähigkeit, schnell zu denken und Neues aufzunehmen, wenig, wenn er sie nicht mit der Erfahrung, der Expertise erfahrener älterer Menschen verbinden kann. Am besten ist es, wenn die Jungen die Innovation vorantreiben und die Älteren sie beraten, ihnen ihre reiche Erfahrung anbieten. Es mag altmodisch klingen, aber wir brauchen Ältestenräte, die ein ganz wichtiges Korrektiv sind.

Alte und Junge, Schnelle und Langsame, Erfahrene und Neugierige, die müssten näher aneinander rücken?

Das wäre ideal. Übrigens auch für die Macher-Typen in der Politik. Ich habe oft über Gerhard Schröder nachgedacht, dem so eine holzschnittmäßige Sicht der Realität mehr lag. Wie gut hätte es ihm getan, wenn er an seiner Seite jemanden gehabt hätte, der ruhig und besonnen gewesen wäre. Der ihm auch mal gesagt hätte: „Das musst du ganz anders sehen.“ Natürlich müssen sich solche unterschiedlichen Typen mögen, sie müssen einander vertrauen. Das gilt übrigens auch für Führungsetagen. Ein Manager muss, ganz gleich, wie alt er ist, methodisch offen sein und sich selbst in Frage stellen können. Aber was ich nicht möchte: dass wir das von jedem Buchhalter verlangen.

Wer führen will, eine bessere Ausbildung hat, klüger ist als andere, der muss das Chaos für andere ordnen?

Das ist der eigentliche Job. Wobei ich mit dem Wort klüger vorsichtig sein würde. Sehen Sie, es gibt ausgesprochen dämliche Akademiker. Von denen können Sie gelerntes Wissen abfragen, mehr nicht, und diese Entwicklung wird eher schlimmer. Menschen werden nicht klüger, weil man sie in ein bestimmtes System einordnet. Es gibt Bildungspolitiker, die beklagen, dass wir zu wenige Leute an den Universitäten haben, nur 30 Prozent eines Jahrgangs. Es sollten 80 Prozent sein. Aber wozu? Es ist ganz klar, was dann passiert: Wenn man egalisiert, dann immer nach unten. Wir werden lehren müssen, was die dümmsten 10 Prozent von den 80 Prozent gerade noch kapieren. Dadurch sind die besten 5 Prozent gelangweilt und kommen nicht zurecht. Wir werden schlechte Universitäten bekommen und Elite-Universitäten fordern. Die brauchen wir nicht, wenn wir nicht jeden auf die Universität schicken.

Die Universität als Lernstätte statt als Fluchtburg.

Genau. Wir müssen das vorhandene System dafür nutzen, wozu es da ist. Nicht jeder muss studieren. Und schon gar nicht das, was heute angeboten wird: Das alte humboldtsche Bildungsideal war, den Menschen die grundlegenden Fähigkeiten und Kenntnisse beizubringen, sie vor allem das Denken zu lehren. Aber das lässt sich mit der Ausbildung in rezeptartigen Methoden nicht machen, so viel wissen wir heute. Es gibt aber auch ausgesprochen kluge türkische Gemüsehändler. Das ist ein sehr komplexer Beruf. Da müssen Sie früh aufstehen, jeden Tag aus einer großen Menge Ware die richtige aussuchen, und Sie wissen nie genau, was Sie davon verkaufen. Unser Gemüsehändler passt sich deshalb – wenn er gut ist – an, er wird klüger, weil er ständig entscheiden muss.

Lesen, schreiben, rechnen lernen und sich dann intelligent anpassen – reicht das?

Ja. Es geht um die Grundfähigkeit, mit Unbestimmtheiten, mit Neuem umzugehen.

Einige Unternehmen scheinen das durchaus verstanden zu haben. Diversity-Programme sollen die Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter betonen. Ist das ein richtiger Schritt?

Ja, aber man muss Acht geben. Denn allein das Beschwören der Vielfalt nützt nichts, schon gar nicht, wenn man standardisierte Richtlinien aufstellt, was Vielfalt ist und was nicht. Gleichheit ist für mich, dass jeder seine Chance kriegt. Die Voraussetzungen müssen gleich sein. Und dazu müssen wir lernen, dass es Ungleichheit gibt und dass das gut so ist.

Wenn man Vielfalt also nicht ernst nimmt und sich in der jeweiligen Situation nicht wirklich mit ihr auseinander setzt, wird aus ihr genau das, was wir jetzt schon kennen: ein Dogma, etwas Starres.

Goldrichtig. Sehen Sie mal, was man heute alles unter Vielfalt versteht: Wir bilden immer mehr Diplom-Pädagogen, Diplom-Kulturwissenschaftler, Diplom-Freizeitberater und weiß der Geier was aus. Das ist irgendwie auch Vielfalt, klar, aber diese Vielfalt kann kaum ein Mensch brauchen. Seien wir also vorsichtig mit allgemeinen Formeln und Schlagworten. Vielfalt an und für sich ist ebenso wenig eine Lösung für alle Probleme wie Einfalt.

Oder nehmen wir das Wort Wissensgesellschaft. Ich mag es nicht. Es führt auf eine falsche Fährte. Es geht nicht um Wissen an sich oder um mehr Wissen. Das ist Quatsch. Es geht um das ständige Neustrukturieren, Verändern von Wissen. Also um ehrliche Arbeit an der Komplexität. --


Dietrich Dörner ist Professor für Theoretische Psychologie an der Universität Bamberg.

Er ist auch einer der meistgelesenen Sachbuchautoren der Republik: Als Klassiker der Komplexitätsforschung gilt sein 1989 erschienenes Buch „Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen“ (als Rowohlt TB für 9,90 Euro).

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